Otto Wels‘ Mut als Auftrag – SPD-Stadtmitte und Jusos veranstalten Demokratietag auf dem Otto-Wels-Platz

Zwei starke Reden rufen zur Verteidigung und Erneuerung der Demokratie auf

Mit einer eindrucksvollen Veranstaltung erinnerten die SPD-Stadtmitte und die Wolfsburger Jusos am 29.03.25 an die historische Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. Über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich auf dem Otto-Wels-Platz mit seiner Gedenktafel und der Skulptur „Mut“, für die die SPD-Stadtmitte die Schirmherrschaft übernommen hat.

Zum Auftakt hörten die Anwesenden einen Auszug aus der berühmten Rede von Otto Wels vom 23. März 1933 mit den bewegenden Worten: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Mit seiner Rede begründete Wels für die SPD-Fraktion die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes der Nazis, dem Gesetz, mit dem die Reichsregierung fortan auch ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze beschließen konnte. Die SPD verweigerte dem Gesetz als einzige Fraktion die Zustimmung.

Steffen Kirsch, gemeinsam mit Benita Kirsch, Vorsitzende der SPD Stadtmitte, stellte den ersten Redner vor: den aus Syrien stammenden Mohammad Mussa von den Wolfsburger Jusos. Dieser hielt eine inspirierende Rede. Mussa hat aus seinen Erfahrungen mit Diktatur und Krieg den Schluss gezogen, sich politisch bei den Jusos und der SPD zu engagieren. In seiner Ansprache sagte er: “Es ist unsere Pflicht zu allen Zeiten für die Werte der Menschlichkeit einzustehen, auch gegen eine Übermacht, so wie Otto Wels es so mutig getan hat.“

Auf Mussas Beitrag folgte die Ansprache von Iris Bothe, Stadträtin für Jugend, Bildung und Integration und Mitglied des Vorstandes des Unterbezirks der SPD Wolfsburg. Sie stellte die zentrale Frage: „Was würde Otto Wels heute sagen?“ und leitete daraus wichtige Lehren für die Gegenwart ab. „Wir müssen hinschauen, wenn Unrecht passiert, nicht wegsehen und schweigen.“ Zudem müsse die Demokratie an die Bedürfnisse von heute angepasst werden. „Die ganze Vielfalt der Gesellschaft muss sich in unseren Parlamenten wiederfinden, junge Menschen, Frauen, Senior*innen. Alle müssen eine Stimme haben.“ Zudem zeige sich Demokratie nicht nur in Sitzungssälen und Wahllokalen, sondern überall im Alltag. Es gehe ums Mitreden und darum, einzuschreiten, wo Menschen ausgegrenzt werden.

Steffen Kirsch schloss die Veranstaltung mit den Worten: „Wir wollen den Mut der 94 SPD-Abgeordneten von 1933 als Vorbild nehmen, die trotz Lebensgefahr für ihre Überzeugungen eingestanden sind.“ Anschließend lud Benita Kirsch die Anwesenden ein, Anhänger für den Demokratiebaum zu gestalten. Denn am Ende liege der Ball wieder bei allen mit der Frage „Was ist Demokratie für dich?“.

Iris Bothe erinnert an Wels’ Vermächtnis – und ruft zu gelebter Demokratie auf

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Genossinnen und Genossen,

wir stehen heute hier an einem Ort der Erinnerung, an einem Platz, der einen Namen trägt, der für Mut, Haltung und eine tiefe Verpflichtung zur Demokratie steht: Otto Wels.

Heute gedenken wir eines Mannes, der in einer der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte das gesagt hat, was gesagt werden musste.

Am 23. März 1933, vor über 90 Jahren, sprach Otto Wels im Reichstag. Die Lage war dramatisch: Die Nationalsozialisten hatten bereits begonnen, das demokratische System der Weimarer Republik zu zerschlagen. Sie setzten ihre Gegner unter Druck, schüchterten ein, verhafteten Abgeordnete. Die Abstimmung über das sogenannte Ermächtigungsgesetz stand bevor – ein Gesetz, das Hitler und seinen Anhängern uneingeschränkte Macht geben würde.

Und in diesem Moment, als die meisten bereits aus Angst schwiegen oder sich fügen wollten, stand Otto Wels auf und sprach für die Demokratie. Er sprach für Freiheit, für Gerechtigkeit, für all das, was seine Partei, die Sozialdemokratie, immer verteidigt hatte.

Seine Worte sind in die Geschichte eingegangen:

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Er wusste, dass er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter verfolgt werden würden. Er wusste, dass sie fliehen oder ins Gefängnis gehen müssten. Und doch hielt er an seinen Überzeugungen fest.

Was für ein Mut. Was für eine Standhaftigkeit.

Aber meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde:

Heute sind wir nicht hier, um nur über die Vergangenheit zu sprechen.

Wir erinnern uns an Otto Wels, weil seine Haltung uns auch heute eine Verpflichtung gibt.

Denn Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie ist nicht einfach da und bleibt für immer. Sie lebt nur, wenn wir sie verteidigen, wenn wir uns für sie einsetzen.

Und deshalb müssen wir uns fragen:

Was würde Otto Wels heute tun?

 


 

Otto Wels hat in einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit gesprochen. Und wir leben heute wieder in einer Zeit des Wandels.

Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen.

• Soziale Ungleichheit wächst. Viele Menschen fragen sich, ob ihre Arbeit in Zukunft noch sicher ist. Ob sie sich ihr Zuhause in dieser Stadt noch leisten können.

• Unsere Demokratie wird angegriffen. Menschen zweifeln an der Politik, radikale Kräfte gewinnen an Einfluss, Hass und Hetze werden lauter.

• Und viele fragen sich: Zählt meine Stimme überhaupt noch? Kann ich überhaupt etwas bewegen?

Genau hier beginnt unsere Verantwortung.

Denn Demokratie ist nicht nur etwas für die Parlamente. Demokratie findet nicht nur in Sitzungen, Gesetzen und Wahllokalen statt.

Demokratie ist das, was wir im Alltag daraus machen.

Und deshalb stelle ich die Frage noch einmal:

Was würde Otto Wels heute tun?

 


 

Was würde Otto Wels heute tun?

Er würde nicht nur Reden halten.

Er würde rausgehen. Er würde zuhören. Er würde mit den Menschen sprechen.

• Er würde an Werkstoren mit den Beschäftigten reden. Weil Demokratie bedeutet, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Dass sie nicht um ihre Zukunft fürchten müssen. Dass Respekt und Sicherheit in der Arbeitswelt keine Privilegien, sondern Rechte sind.

• Er würde in Schulen und Jugendzentren mit jungen Menschen diskutieren. Weil Demokratie davon lebt, dass die junge Generation sich einbringt, mitredet, mitgestaltet. Weil es darum geht, ihnen zu zeigen: Ja, deine Stimme zählt. Ja, du kannst etwas bewegen.

• Er würde Seniorinnen und Senioren zuhören. Weil sie erlebt haben, wie aus Trümmern eine neue Demokratie aufgebaut wurde. Weil ihre Lebenserfahrung uns daran erinnert, wie zerbrechlich Freiheit sein kann – und wie schnell sie verloren gehen kann, wenn man nicht aufpasst.

• Er würde in die Stadtteile gehen, in Vereine, in Nachbarschaftsinitiativen. Weil Demokratie nicht nur in den großen Institutionen passiert – sondern dort, wo Menschen sich füreinander einsetzen.

Otto Wels würde uns daran erinnern, dass Demokratie nicht nur bedeutet, alle paar Jahre ein Kreuz zu machen.

Sie bedeutet: Jeden Tag für Werte einzustehen. Jeden Tag mitzureden. Jeden Tag Verantwortung zu übernehmen.

 


 

Demokratie ist eine tägliche Aufgabe – nicht nur zur Wahl.

Otto Wels hat uns gelehrt: Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Sie muss verteidigt, gepflegt und mit Leben gefüllt werden.

Das bedeutet:

• Hinschauen, wenn Unrecht passiert. Nicht wegsehen, nicht schweigen, wenn Hass und Hetze Raum greifen.

• Einschreiten, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Denn Demokratie lebt von Zusammenhalt, nicht von Spaltung.

• Mitreden, nicht nur in Wahljahren, sondern immer. Weil es um unsere Zukunft geht.

Demokratie beginnt nicht in Sitzungssälen oder Wahllokalen – sie beginnt in unserem täglichen Leben.

Und deshalb ist es unsere Aufgabe, nicht nur in Wahlkämpfen präsent zu sein, sondern immer ansprechbar zu bleiben.

Denn das ist der Unterschied zwischen einer Demokratie, die nur auf dem Papier existiert, und einer Demokratie, die wirklich gelebt wird.

 


 

Aber Otto Wels würde uns heute auch eine weitere wichtige Lektion geben: Die Erneuerung der Demokratie ist ein fortlaufender Prozess. Auch die politische Landschaft muss sich immer wieder verändern, damit sie lebendig bleibt und alle Stimmen Gehör finden.

In einer Demokratie dürfen wir uns nicht darauf ausruhen, dass ein System funktioniert – wir müssen es weiterentwickeln, an die Bedürfnisse der Gegenwart anpassen und sicherstellen, dass die verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft auch wirklich vertreten sind. Junge Menschen, Frauen, Seniorinnen und Senioren – sie alle müssen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den politischen Gremien und Entscheidungsprozessen eine ganz konkrete Stimme haben.

Otto Wels hätte sicherlich heute betont, wie wichtig es ist, den Staffelstab an die jüngeren Generationen weiterzugeben. Denn Demokratie ist nichts Statisches, sie lebt von Veränderung und Erneuerung. Wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist, dann müssen wir sicherstellen, dass auch die Generationen von morgen Verantwortung übernehmen können. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich politisch zu engagieren, ihre Ideen und ihre Visionen einzubringen.

Aber auch die Vielfalt der Gesellschaft muss sich in den politischen Räten widerspiegeln. Unsere Parlamente und Gremien können keine Orte sein, die nur von einer bestimmten Altersgruppe, einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht oder einem bestimmten Geschlecht dominiert werden. Vielfalt ist die Grundlage von Innovation und Gerechtigkeit – und Demokratie braucht diese Vielfalt, um gerecht und zukunftsfähig zu bleiben.

Otto Wels hat es verstanden, wie entscheidend es ist, die Perspektiven aller Menschen zu hören. Er würde heute für eine Politik eintreten, die für die nächste Generation offen ist, eine Politik, die die Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet und aktiv dazu beiträgt, dass jede und jeder eine Stimme bekommt.

 


 

Wenn wir heute Otto Wels ehren, dann nicht nur als historischen Zeugen einer dunklen Zeit.

Wir ehren ihn als Mahner und als Vorbild.

Sein Mut erinnert uns daran, dass jede und jeder Einzelne Verantwortung trägt – für unsere Stadt, für unser Land, für unsere Demokratie.

Wir sollten uns alle eine Frage stellen:

Was tun wir – jede und jeder Einzelne – damit Demokratie nicht nur ein Wort bleibt, sondern eine gelebte Realität?

Wir brauchen diesen Mut, diesen Zusammenhalt – heute mehr denn je.

Denn Demokratie stirbt nicht über Nacht. Sie stirbt in dem Moment, in dem wir aufhören, sie zu verteidigen.

Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns dieses Erbe bewahren.

Nicht nur an Gedenktagen.

Nicht nur im Parlament.

Nicht nur zur Wahl.

Sondern jeden Tag. Überall. Gemeinsam.